Hämatopoese: Erythropoetin, G-CSF & Co. (2024)

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Von Hans-Peter Lipp, Tübingen/Bei der Hämatopoese, der Bildung korpuskulärer Blut-Bestandteile wie Erythrozyten, Leukozyten und Thrombozyten aus pluripotenten Stammzellen des Knochenmarks, spielen diverse hämatopoetische Wachstums­faktoren eine zentrale Rolle.

Inzwischen sind über 20 dieser »colony stimulating factors« (CSF) und hier unter anderem Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor (G-CSF), Erythropoetin (EPO) oder Thrombopoetin (TPO) bekannt.

Proliferation und Ausreifung

Ob EPO, TPO oder G-CSF beziehungsweise Interleukin (IL)-2 oder -3, SCF (Stammzellfaktor) oder GM-CSF (Granulozyten-Monozyten-Kolonie-stimulierender Faktor): Ausgehend von pluripotenten Stammzellen (colony forming units, CFU) greifen sie in un­terschiedlichster Weise und auf den verschiedenen Differenzierungsstufen in die Proliferation und Ausreifung hämatopoetischer Endzellen wie Thrombo- und Erythrozyten (Abbildung 1) ein und verfügen über unterschiedliche Eigenschaften und Haupteffekte (Tabelle 1).

Hämatopoese: Erythropoetin, G-CSF & Co. (1)

G-CSF und Erythropoetin stehen heute nicht nur in Form rekombinant hergestellter Proteine, sondern auch als Derivate mit deutlich verlängerter Eliminationshalbwertzeit zur Verfügung. Beim Thrombopoetin hingegen wurde der Weg zum Peptibody beziehungsweise niedermolekularen MPL-Agonisten beschritten.

Im Rahmen der Mobilisierung von Stammzellen in das periphere Blut könnten zukünftig neben G-CSF auch der partielle CXCR4-Rezeptor-Antagonist Plerixafor sowie der rekombinante Stammzellfaktor Ancestim eine größere Rolle spielen.

Während SCF zellmembrangebunden in die frühe Phase der klo­nalen Expansion anschließend weiter differenzierender Vorläuferzellen eingreift, sind Zytokine wie G-CSF, Thrombopoetin oder Erythropoetin maßgeblich für die Ausreifung der jeweiligen Endzellen der Hämatopoese, also unter anderem der neutrophilen Granulozyten, Thrombozyten und Erythrozyten, verantwortlich (Abbildung 2; 1,2).

Zytokine wie der T-Zell-Wachstumsfaktor Interleukin-2 (IL-2) regen zwar die Differenzierung der T-Lymphozyten an, jedoch ist der therapeutische Nutzen von rekombinantem Interleukin-2 wie Aldesleukin zum Beispiel in der Behandlung des Nierenzell­karzinoms von zunehmend untergeordneter Bedeutung. Zielgerichtetere Therapeutika wie zum Beispiel der Tyrosinkinase-Inhibitor Sunitinib (Sutent®) führten in direkten Vergleichsstudien zu einer signifikanten Verlängerung des Gesamtüberlebens (3).

G-CSF bei Chemotherapie

Wie der Name sagt, spielt der Granulozyten-Kolonie-stimulierende Faktor G-CSF eine entscheidende Rolle in der Proli­feration und Differenzierung der neutrophilen Granulozyten (4), während über den Granulozyten-Monozyten-Kolonie-stimulierenden Faktor GM-CSF (Leukine®, USA) auch andere Leukozytenfraktionen beeinflusst werden (Abbildung 2).

Hämatopoese: Erythropoetin, G-CSF & Co. (2)

Während dieses breitere Wirkspektrum nur unwe­sentlich zu einer verbesserten unspezifischen Immunabwehr führt, ist hingegen das Auftreten von Nebenwirkungen unter einer GM-CSF-Gabe häufiger zu beobachten als unter einer G-CSF-Gabe. Durch die zusätzliche Stimulation eosinophiler Granulozyten werden vermehrt auch Zytokine freigesetzt, die unter anderem fieberähnliche Reaktionen induzieren (2, 5). Die Ver­träglichkeit der G-CSF-Präparate ist gut. Mögliche, kurz dauernde Knochenschmerzen lassen sich mit Paracetamol erfolgreich beherrschen (4-6).

Aufgrund ihrer ver­gleichsweise kurzen Halbwertzeit von circa 3,5 Stunden müssen G-CSF-Präparate wie Filgrastim (zum Beispiel Neupogen®, Ratiograstim®, Nivestim®) oder Lenograstim (zum Beispiel Granocyte®) täglich über mehrere Tage subkutan verabreicht werden, um eine Dauerstimulation auf das Knochenmark zu bewirken. Durch zu­sätzliche Pegylierung des rekombinanten Filgrastim (Pegfilgrastim, Neulasta®) wird der Abbau deutlich ver­langsamt (Halbwertzeit: circa 33 Stunden). Die einmalige Gabe subkutan 24 bis 72 Stunden nach verabreichter Chemotherapie ist gemäß neuester Erkenntnisse somit völlig ausreichend (4, 6).

In vielen Studien ist inzwischen eindrucksvoll belegt worden, dass die Gabe von G-CSF-Präparaten nicht nur signifikant die Dauer und Schwere einer Chemothe­rapie-induzierten Neutropenie (Abbildung 3), sondern auch das Risiko kritischer febriler Phasen während der Neutropenie und somit die Notwendigkeit der Notaufnahme und Gabe von Breitspektrum-Antibiotika reduziert (7-9).

Allerdings machten die beachtlichen Tagestherapiekosten, die mit einer G-CSF-Gabe verbunden sind, sehr frühzeitig auch die Etablierung von Leitlinien er­forderlich, um eine Kostenexplosion in der Supportivtherapie zu vermeiden.

Primär- und Sekundärprophylaxe

Inzwischen wird die Primärprophylaxe mit G-CSF-Präparaten bereits nach Gabe einer ersten karzinomspezifischen Chemotherapie (CTX) dann empfohlen und als pharmakoöko­nomisch sinnvoll angesehen, wenn bei mindestens 20 Prozent der behandelten Patienten mit dem Auftreten einer therapie-assoziierten febrilen Neutropenie infolge der jeweiligen Zytostatika ohne G-CSF-Gabe zu rechnen ist.

Sie wird zudem als wichtig erachtet, wenn eine Reihe individuel­ler Risikofaktoren wie zum Beispiel Alter > 65 Jahre oder ein fortgeschrittenes Krankheitsstadium vorliegt, die eine schnelle und kritische Verschlechterung der Knochenmarkreserven erwarten lassen (9).

Standardmäßig werden G-CSF-Präparate zur Sekundärprophylaxe eingesetzt, wenn nach den ersten Therapie­zyklen eine febrile Neutropenie (FN) auftritt. Folglich wird man im Rahmen eines TAC-Protokolls (Docetaxel, Doxorubicin, Cyclophosphamid), bei dem das FN-Risiko bei 22 bis 25 Prozent liegt, eine Primärpro­phylaxe vorsehen, während ein CMF-Protokoll (Cyclophosphamid, Methotrexat, Fluorouracil) mit einem FN-Risiko von 0 bis 3 Prozent keine entsprechende Primärprophylaxe erforderlich macht (9).

Aktuelle Indikationen der G-CSF-Präparate Filgrastim und Lenograstim gemäß Gebrauchsinformation sind:

Verkürzung der Dauer von Neutropenien,

Verminderung der Häufigkeit febriler Neutropenien in Verbindung mit einer Chemotherapie,

Mobilisierung peripherer Blutstamm- zellen,

Langzeitbehandlung schwerer kon- genitaler Neutropenien,

Behandlung andauernder Neutropenien bei Patienten mit fortgeschrittener HIV-Infektion zur Verminderung des bakteriellen Infektionsrisikos.

Theoretisch lässt sich der Einsatz von G-CSF-Präparaten auch in besonderen Situationen wie zum Beispiel einer akzidentellen Colchicin-Überdosierung (Letaldosis bei Erwachsenen: circa 20 mg) rechtferti­gen, um einer lebensbedrohlichen Leukozytopenie rechtzeitig entgegen­zuwirken. Dieser off-label-use basiert jedoch bisher primär auf Ein­zelfallberichten (10).

Vor der Entwicklung und Vermarktung von G-CSF-Präparaten waren lange Zeit immer wieder Transfusionen von Granulozyten zur Behandlung schwerer In­fektionen bei neutropenen Hochrisiko-Patienten verwendet worden. Da sich al­lerdings wiederholt technische Probleme bei der Aufbereitung ergaben und häu­fig Un­verträglichkeiten im Rahmen der Alloimmunisierung auftraten, haben Granulozyten-Transfusionen heute nur noch eine untergeordnete Bedeutung (11).

TPO-Analoga bei Morbus Werlhof

Fallen die Thrombozytenwerte unter 20000 pro µl (mm3) Vollblut, so besteht ein erhöhtes Risiko für schwerwiegende lebensbedrohliche Blutungen. Grad ≥ 3-Thrombozytopenien sind zum einen Chemotherapie-assoziiert. Die Ursache kann zum anderen in Autoimmunreaktionen wie zum Beispiel Morbus Werlhof (synonym: idiopathische thrombo­zytope­nische Purpura–ITP) liegen (12).

Analog zur Rezeptoraffinität von G-CSF wurde die Affinität von Thrombopoetin (TPO) zu MPL-Rezeptoren als zelluläre hom*ologe des murinen myeloproliferativen Leukämie-Retrovirus-Onkogens beschrieben, deren Stimulierung unter anderem zur gesteigerten Produktion von Thrombozyten und Megakaryozyten führt. Dieses war der Anfang für die Entwicklung von MPL-Rezeptoragonisten als »Thrombopoetin-Analoga« (12-14).

Ausgehend von rekombinant hergestelltem Throm­bopoetin befand sich zwischenzeitlich ein molekular verkürztes, modifiziertes TPO in der klinischen Prüfung. Zur Verlängerung der Halbwertzeit und Ausdehnung der notwendigen Appli­kationsintervalle war dieses zusätzlich mit Polyethylenglykol zu PEG-MDGF (Pegylated Recombinant Megakaryocyte Growth and Development Factor) verknüpft worden.

Allerdings wurde die Entwicklung von PEG-MDGF vorzeitig abgebrochen als bekannt wurde, dass im Rahmen der subkutanen Gabe Autoimmunreaktionen gegen endogen gebildetes TPO auftra­ten (12). Erst Jahre später gelang es schließlich, mit Romiplostim und Eltrombopag die Entwicklung sehr potenter TPO-Analoga erfolgreich voranzubringen.

Der Thrombopoetin-Rezeptoragonist Romiplostim (Nplate®) ist ein Peptibody. Das Molekül besteht aus einem Proteinanteil, der passgenau als Ligand mit dem MPL-Rezeptor in Wechselwirkung treten kann. Die zusätzliche Verknüpfung mit dem Fc-Anteil eines Immunglobulins führt zur deutlichen Verlängerung der Eliminationshalbwertzeit und der Möglich­keit, Romiplostim in einer Dosierung von im Mittel 2 bis 3 µg/kg alle sieben Tage subkutan zu verabreichen.

Der Thrombopoetin-Rezeptoragonist Eltrombopag (Revolade®) hingegen ist ein chemisch hergestelltes, vergleichsweise kleines Molekül, das mit dem aktiven Zentrum des MPL-Rezeptors interagieren kann. Es wird oral in einer Dosierung von initial 50 mg, dann 25–75 mg/Tag per os mindestens vier Stunden vor oder nach Milchprodukten, Antacida oder polyvalenten Kationen verabreicht. Klinisch ist ein ähnlicher Anstieg der Thrombo­zyten­werte wie bei Romiplostim zu verzeichnen (Tabelle 2; 13,14).

Beide Präparate sind bisher ausschließlich zur Behandlung der vorbehandel­ten ITP zuge­lassen. Zusätzliche potenzielle Indikationen, wie zum Beispiel die Reduktion der Dauer und Schwere einer CTX-, aber auch HCV-assoziierten Thrombozytopenie sind Gegenstand weitergehender klinischer Prü­fungen.

Beide Wirkstoffe werden insgesamt gut vertragen. Mögliche Hinweise auf hepato­toxische Begleiteffekte werden derzeit sehr sorgfältig verfolgt. Das­selbe gilt für die Möglichkeit der Induktion einer Knochenmarkfibrose.

Beide Optionen sind im Rahmen der ITP-Behandlung als Dauer­therapien anzusehen, da ein Absetzen wieder zu einem Thrombozytenabfall hin zu den Ausgangswerten oder sogar niedrigeren Werten führt.

Aufgrund der che­mischen Struktur ist beim Eltrombopag darüber hinaus zu beachten, dass es zu nicht absorbierbaren Chelatkomplexen in Verbindung mit mehrwertigen Metall­ionen wie zum Beispiel Ca2+ oder Al3+ kommt. Aus Sicherheitsgründen wird ein zeitlicher Ab­stand von mindestens vier Stunden zwischen der Nüchternein­nahme von Eltrombo­pag und einer nachfolgenden Nahrungsaufnahme empfohlen (13, 14).

Stimulation der Erythropoese

Die Schwere einer Anämie wird definitionsgemäß nicht durch die Gesamtanzahl an Erythrozyten im Vollblut, sondern vielmehr durch die Hämo­globin-Aus­gangs­werte beschrieben. Als behand­lungsbe­dürftig gelten Werte unter (9–)10 g/dl, wobei die symptomatische Einschrän­kung interindividuell sehr unterschiedlich sein kann. Selbst bei 7 g/dl können Patienten noch unerwartet leistungsbereit sein.

Mit circa 1 g/dl Hb-Anstieg pro Einheit Konzentrat führt die Gabe von Ery­throzytenkon­zentraten zu einer raschen Anämiekorrektur. Allerdings ist sie mit dem Risiko transfusionsassoziierter Reaktionen wie zum Beispiel Schüttelfrost oder Hypotonie, möglicher Übertragungen von Infektionserregern und einer allmäh­lichen Eisenüberladung bei Mehrfachtransfusionen verbunden.

Eine Gabe von rekombinanten Erythropo­ese-stimulierenden Agentien (ESA) kann erst nach vier (bis sechs) Wochen zu einem spürbaren Anstieg der Hämoglobinwerte führen, sodass rekombinantes Erythropoetin und seine Derivate nicht für die Akutbehandlung geeignet sind. Sie werden vielmehr zur längerfristigen Stabilisierung von Hämoglobinwerten als Mittel der Wahl herangezogen (15,16).

Hämatopoese: Erythropoetin, G-CSF & Co. (4)

Neben der Anämiekorrektur bei Tumorpatienten, die CTX-assoziiert einen Abfall der Erythrozyten zeigen, ist rekombinantes Erythropoetin auch indiziert zur Substitutions­thera­pie bei (Prä-)Dialysepatienten (Abbildung 4) und Patienten, die im Rahmen anstehender Operationen wie zum Beispiel elektiver orthopä­discher Eingriffe jegliche Bluttransfusionen von Fremdspendern ablehnen.

Anfangs waren ausschließlich rekombinant hergestellte, nicht weiter modifi­zier­te, konventionelle Erythropoetin-Präparate (zum Beispiel Erypo®, NeoRecormon®) auf dem Markt. Sie wurden in der Regel dreimal pro Woche bei Dialyse- beziehungsweise Tumorpatienten subkutan beziehungsweise intravenös verabreicht

Mit den modifizierten Epoetin­derivaten Darbepoetin (Aranesp®) und CERA (Mircera®) als »continuous erythropoetin receptor activator« gelang es schließlich, die Halbwertzeit des Glykoproteins deutlich zu ver­längern, wobei beim Darbepoetin der Anteil an Sialinsäuren erhöht wurde, während beim CERA die Verknüpfung mit Polyethylenglykol erfolgte (17, 18).

Von klinischer Relevanz ist darüber hinaus, dass beim Darbepoetin und unmodifizierten Epoetin durch subkutane Gabe im Vergleich zur intravenösen Appli­kation eine höhere AUC und längere Halbwertzeit erreicht werden kann (Tabelle 3). Durch subkutane Gabe können die Dosen bei Dialysepatienten um 20 Prozent reduziert werden (19).

Weitergehende Erfahrungen in der klinischen Onkologie haben gezeigt, dass die deutliche Überschreitung von Hb-Zielwerten über 12 g/dl mit einem erhöhten Risiko für Thromboembolien verbunden ist. Aus diesem Grund sind therapie-induzierte Hb-Werte von 12(-13) g/dl (> 7,5 mmol/l) zu vermeiden und engmaschige Beobachtungen der Hb-Werte insbesondere nach Therapiebeginn obligat (20).

Engmaschige Beobachtung

Im Rahmen einer ESA-Gabe ist jedoch auch darauf zu achten, dass der Eisenstatus der Patienten gründlich untersucht wird, und neben einer möglichen absoluten auch eine funktionelle Eisenmangelanämie ausgeschlossen ist beziehungsweise einer angemesse­nen Behandlung zugeführt wird.

Da in letzterem Fall eine orale Eisengabe weit­gehend wirkungslos ist, müssen bei einer funktionellen Eisenmangelanämie rechtzeitig intravenöse Anwendungen von Eisenpräparaten (Abbildung 5) vorgesehen werden, da ansonsten Epoetingaben allein keine zuverlässigen Hämoglobin-Anstiege bewirken können (21, 22).

Hämatopoese: Erythropoetin, G-CSF & Co. (5)

Pa­tienten mit konstitutiv erhöhten endogenen Epoetinspiegeln im Blut (> 100 mU/ml), niedrigen Thrombozytenwerten (< 100.000 pro µl), einem relativ ho­hen Transfusionsbedarf in der Anamnese und Hämoglobin-Ausgangswerten < 9 g/d sprechen oft sehr schlecht oder gar nicht auf eine Epoetintherapie an. In sol­chen Fällen führen auch ESA-Dosiseskalationen nicht zum gewünschten Erfolg (15, 16).

In der Historie von Epoetin α hat sich gezeigt, dass bereits Veränderungen der Formulierung, zum Beispiel der Wechsel von Humanalbumin auf Polysorbat 80 als Hilfsstoff, unter bestimmten Rahmenbedingungen zu schwerwiegenden Folgen hinsichtlich der Langzeitverträglichkeit führen kön­nen. Aus diesem Grund wird bei den Biosimilars (zum Beispiel Abseamed®, Epoetin alfa Hexal®) insbesondere die Gefahr möglicher Autoimmunreaktionen sehr ernst genommen und im Follow-Up nach Zulassung durch die europäische Zulassungsbehörde EMA engmaschig weiter beobachtet (23).

Mobilisierung von Stammzellen

Bei einer Reihe von soliden Tumoren, zum Beispiel Hodenkarzinom, oder aber Hämoblasto­sen, zum Beispiel Non-Hodgkin-Lymphom, konnte in den letzten 20 Jahren eine deut­liche Verbesserung der Heilungsraten beziehungsweise eine Verlängerung des Gesamt­überlebens erreicht werden.

Ganz entscheidend war in diesem Zu­sammenhang die Option der autologen Transplantation peripherer Stamm­zellen (PBSCT; Periphere Blut-Stammzell-Transplantation). Das ideale Transplantat sollte eine möglichst hohe Zahl an proliferations­fähi­gen, gesunden hämatopoetischen Vorläuferzellen enthalten und möglichst frei von malignen Zellen sein.

Hämatopoetische Vorläuferzellen exprimieren auf ihrer Oberfläche das CD34-Antigen (CD34+-Zellen). Diese Antigen-Expression nimmt im Laufe ihrer Differenzierung wieder ab. Werden diese Vorläufer­zel­len, die aus dem Knochenmark stammen, über Apheresen suk­zessive gesam­melt und nach einer dosisintensivierten myeloablativ wirksamen Chemotherapie wieder reinfundiert, so finden die CD34+-Zellen ins Knochen­mark zurück. Dort bauen sie wieder ein völlig funktionsfähiges blutbildendes System auf.

Um einen adäquaten zeitnahen Wiederanstieg an neutrophilen Granulozyten beziehungsweise Thrombozyten zu erreichen, sind etwa zwei bis fünf Millionen CD34+-Zellen pro kg Körpergewicht anzustreben. Üblicherweise wird eine Kom­bination aus Chemotherapeutika und G-CSF-Gabe in den Folgetagen eingesetzt, um die Ausbeuten zu optimieren. Allerdings sind etwa zehn bis 30 Prozent der Patienten, sogenannte »Poor Mobilizers«, nicht in der Lage, selbst die geforderte Mindestmenge von (1-)2 Mio CD34+-Zellen/kg KG zu mobilisie­ren. Die Hintergründe können vielfältig sein (24, 25).

Das Bicyclam-Derivat Plerixafor wirkt als selektiver Antagonist am CXCR4-Rezeptor, der natürlicherweise auf Stammzellen und Vorläuferzellen zu finden ist. Plerixafor hebt nicht nur die relativ feste Bindung an Stromazellen des Knochenmarks auf, sondern fördert somit auch die Transmigration der Stammzellen vom Knochen­mark in das periphere Blut. Tatsächlich ließ sich mit Plerixafor in mehreren Studien noch eine PBSCT realisieren, da die erforderliche Zellzahlmenge erreicht werden konnte.

Plerixafor (Mozobil®) wird in einer Dosis von 0,24 mg/kg/Tag subkutan am vierten Tag einer vorausgegangenen G-CSF-Gabe (Tag 1 bis 4 je 10 µg/kg/Tag subkutan) etwa sechs bis elf Stunden vor der Apherese verabreicht, wobei G-CSF üblicherweise morgens (zum Beispiel 8 Uhr) und Plerixafor am späten Nachmit­tag (zum Beispiel 17 Uhr) appliziert wird (26, 27).

Kommt es selbst unter Plerixafor zu keiner verbesserten Mobilisierung von Vor­läuferzellen in das periphere Blut, so kann mit rekombinant hergestell­tem Stammzellfaktor Ancestim (Dosis: 20 µg/kg/Tag subkutan) ein zusätzlicher Therapieversuch unternommen werden, auch wenn die Ergebnisse zum verbesserten Erfolg einer Stammzellmobilisierung teilweise noch recht widersprüchlich sind. Gemeinsam mit G-CSF (Dosis: 10 µg/kg subkutan/Tag) kann eine stärkere Sti­mulation der pluripotenten Stammzellen und eine damit verbundene Zellzahlerhöhung an CD34+-Zellen im peripheren Blut erreicht werden (28, 29). Ancestim ist bisher allerdings in Deutschland nicht zugelassen./

Literatur

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Der Autor

Hans-Peter Lipp studierte von 1983 bis 1987 Pharmazie an der Universität Tübingen. Nach dem dritten Staatsexamen und der Approbation 1988 sowie der Promotion am Institut für Toxikologie (Leitung: Prof. Dr. K. W. Bock) zum Thema »Toxizitätsbeurteilung von komplexen Dioxingemischen« 1991 war er ein weiteres Jahr als Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Toxikologie, sodann, von 1992 bis 1998, als Krankenhausapotheker an der Universitätsklinik Tübingen tätig. 1997 wurde er zum Fachapotheker für klinische Pharmazie ernannt. Seit 1998 ist Lipp Chefapotheker des Universitätskliniku*ms Tübingen. Lipp ist Herausgeber, Mitherausgeber, Autor und Co-Autor von mehr als 150 wissenschaft­lichen Publikationen und drei Fachbüchern zur Klinischen Onkologie, Hämostaseologie und Infektiologie. Er ist Lehrbeauftragter der Universität Tübingen zum Thema Pharmakoökonomie und -epidemiologie sowie Mitglied des Editorial Boards der Zeitschrift Hospital Pharmacy Europe und der Arbeitsgruppe ASORS der Deutschen Krebsgesellschaft. Seine wissenschaftlichen Arbeiten fanden Anerkennung durch zahlreiche Preise und Ehrungen.

Dr. Hans-Peter Lipp

Universitätsapotheke

Röntgenweg 6

72015 Tübingen

Hans-Peter.Lipp@med.uni-tuebingen.de

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